Auf den Spuren eines griechischen Zwangsarbeiters

Der Bunker Valentin bei Bremen-Farge

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Am 8. Mai wird in vielen europäischen Ländern das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur gefeiert. Zu diesem Anlass möchte diablog.eu auf das Buch von Kostas Chalemos „Nummer 32730 – Die Odyssee einer Geisel“ aufmerksam machen, das 2017 im Eigenverlag erschienen ist.

Chalemos hat die Erlebnisse des ehemaligen KZ-Häftlings Spyros Pasaloglou festgehalten und dessen Erzählung mit zahlreichen Dokumenten belegt, so dass ein umfassendes Zeitdokument entstanden ist. Spyros Pasaloglou arbeitete als Zwangsarbeiter unter anderem acht Monate lang am U-Boot-Bunker „Valentin“ bei Bremen-Farge.

Das Buch existiert bislang nur in der griechischen Fassung. Die aus öffentlichen Mitteln geförderte deutsche Übersetzung des Zeitzeugenberichts von Spyros Pasaloglou durch Michaela Prinzinger und Thanassis Tsingas ist abgeschlossen und wartet auf einen Verleger.

Bunker Valentin heute

Spuren einer Rüstungslandschaft

Der ehemalige U-Boot-Bunker „Valentin“ ist das, was heute von drei großen nationalsozialistischen Rüstungsprojekten sichtbar geblieben ist. 1938 wurde mit dem Bau eines unterirdischen Treibstofflagers zwischen Farge und Neuenkirchen begonnen. 1939 wurden in unmittelbarer Nähe weitere Treibstoffbunker errichten. Ab Mitte 1943 wurde die vorhandene Infrastruktur für das Bauprojekt U-Boot-Bunker „Valentin“ genutzt. Alle drei Projekte veränderten von Grund auf die ursprünglich landwirtschaftlich geprägte Region.

Der junge Spyros Pasaloglou

Pasaloglou wurde zu Neujahr 1926 als fünftes Kind einer Tagelöhnerfamilie geboren. Mit 13 Jahren fing er an zu arbeiten, er belud Lastwagen mit Steinkohle. Bei der großen Razzia von griechischen Sicherheitskräften, die unter deutscher Aufsicht im „roten“ Athener Bezirk Kalogreza am 15. März 1944 stattfand, war Spyros Pasaloglou einer der Gefangenen und gerade 18 Jahre alt. 22 der Verhafteten wurden vor Ort erschossen, etwa 60 verschwanden in Gefängnissen und mehr als 120 wurden ins Konzentrationslager Chaidari gebracht, das nach deutschem Muster funktionierte.

Nachdem er im bombardierten Piräus Zwangsarbeit geleistet hatte, wurde Spyros Pasaloglou als politischer Gefangener mit zahlreichen anderen Griechen Ende Mai 1944 in einem Güterzug nach Deutschland deportiert. Nach zehntägiger Irrfahrt wurde er im KZ Neuengamme interniert und kam im August 1944 ins Zwangsarbeiterlager Bremen-Farge, wo er an der Errichtung des monströsen Bunkers Valentin mitarbeiteten musste.

Wandmalerei Häftlinge

Seine Ankunft im Lager Bremen-Farge beschreibt Spyros Pasaloglou so:

Zwei Reihen von je acht Zoll hohen Wasserhähnen trennen den Block in zwei Teile. Auf der einen Seite sind die griechischen, russischen, polnischen und serbischen Kriegsgefangenen, auf der anderen Seite die Briten, Franzosen, Belgier, Holländer und andere Westeuropäer untergebracht.

Die älteren Häftlinge begrüßen uns lächelnd.
„Willkommen in Farge…“

Wir schlafen mit den Russen im selben Raum. Die ersten Tage sind wir alle noch vorsichtig und zurückhaltend. Wir reden nicht miteinander, auch wenn wir dicht an dicht liegen. Doch nach und nach, Schrittchen für Schrittchen, kommen wir uns näher. Am Schluss werden wir Freunde. Wir arbeiten zusammen und an den Sonntagen feiern wir zusammen. In unserer Freizeit spielen wir Sketches und singen.

In unserer Stube haben zwei Deutsche und ein Serbe das Kommando. Es gibt noch einen deutschen Arzt, der sich sehr für die altgriechische Sprache begeistert. Immer wenn es ihn packt, kommt er zu unserer Gruppe und rezitiert. Vergeblich erwartet er von uns, dass wir einstimmen. Wir begreifen kein Wort und starren ihn verständnislos an. Er aber blickt noch verdutzter als wir. Eines Tages kann er sich nicht mehr zurückhalten.
„Was seid ihr denn für Griechen, wenn ihr eure eigene Sprache nicht könnt?“

Gedenkstele vor Bunker

Das Arbeitslager Bremen-Farge, Außenlager des KZ Neuengamme

Das Zwangsarbeiterlager Bremen-Farge entstand im Oktober 1943, sieben Kilometer von Bremen entfernt. Die Mehrheit der Zwangsarbeiter waren Franzosen, Polen, Russen und Griechen. Mit etwa 3.000 Gefangenen war es das zweitgrößte Außenlager des KZ Neuengamme.

Im Bremer Vorort Vegesack, ganz in der Nähe des KZ, entstand der Bunker Valentin (sein Name ist auf den Anfangsbuchstaben des Standorts Vegesack zurückzuführen), ein riesiger U-Boot-Bunker: 426 Meter lang, bis zu 97 Meter breit, 33 Meter hoch und mit einer Grundfläche von 35.375 Quadratmetern. Die Wände des Bunkers waren 4,5 Meter und die Spannbetondecke ganze 7 Meter dick.

Das Zwangsarbeiterlager war etwa vier Kilometer vom Baustellengelände entfernt. Anfangs gingen die Gefangenen zu Fuß zur Arbeit. Das Konzentrationslager und die Zwangsarbeiter wurden kaum vor den Einheimischen versteckt gehalten, ein lokaler Fotograf machte sogar im Lager selbst Aufnahmen. Nachdem die Eisenbahntrasse verlegt worden war, wurden sie auf dem Schienenweg hin und her transportiert.

Gearbeitet wurde in zwei 12-Stunden-Schichten an sechs Tagen der Woche. Sonntags gab es nur die Tagschicht. Während überall Verdunkelungspflicht bestand, wurde Valentin zur Nachtschicht mit riesigen Scheinwerfern hell ausgeleuchtet. Die Gefangenen wurden zur Schwerstarbeit eingesetzt. Am schlimmsten hatten es die sogenannten Eisenkommandos, die Stahlträger transportieren mussten. Sie wurden auch Himmelfahrtskommandos genannt, da dort die Lebenserwartung sehr kurz war.

Frau im roten Mantel vor riesiger Bunkerwand

Spyros Pasaloglou erzählt folgende Episode:

Hier ist es immer windig. Dieser verdammte Ort ist nach allen Seiten offen. Der Wind fegt über die Erde, und Sandwolken hüllen die Baustelle ein. Der Staub dringt in die Augen, in den Mund, in die Nase, in die Ohren. Er dringt bis in die Unterhose, so dass es an den Schamteilen wie verrückt juckt.

Jedes Mal, wenn es heftig windet, suchen wir einen windstillen Rückzugsort. Doch auf dem Bunkerdach gibt es keinen Platz, an dem man geschützt wäre. Dort peitscht einen der Wind schlimmer als der Wärter. Manchmal packt er dich und hebt einen – sage und schreibe! – in die Höhe.

Dieser Tage werden die Decken betoniert. Zwei Brüder aus dem Athener Bezirk Kokkinia versuchen bei höllischem Wind vergeblich, Halt zu finden. Der Sturm reißt sie in die Tiefe und sie stürzen aus großer Höhe zu Boden. Wir hören ihre Schreie und rennen völlig aufgelöst hin.

Wir rechnen mit ihrem sicheren Tod. Doch als wir an die Absturzstelle gelangen, sind sie schon wieder auf den Beinen! Als der Arzt eintrifft, machen wir ihm Platz. Er tastet ihre Leiber ab und kann keine Verletzung finden.

„Ein Wunder!“, wispern viele.
Der Arzt schüttelt den Kopf.
„Nein, ihr geringes Gewicht hat sie gerettet. Sie sind leicht wie eine Feder heruntergesegelt…“

Eine Person steht vor Informationstafel auf Bunkergelände

Im KZ Bremen-Farge reichte das Essen kaum zum Überleben, die Kleidung war dürftig. Im Winter 1944-45, als die Temperaturen in Norddeutschland auf bis zu minus 20 Grad Celsius fielen, mussten die Gefangenen mit einer dünnen Jacke im Freien arbeiten.

Bis zu den letzten Kriegstagen hatte der Bunker Valentin oberste Priorität, die Bauarbeiten verliefen bis zum Schluss planmäßig. Das enorme Arbeitstempo, das den Gefangenen in Bremen-Farge abverlangt wurde, war auch der Hauptgrund für die hohe Sterberate. Mehr als 6.000 Menschen kamen in Bremen-Farge ums Leben, am Bunkerbau selbst starben etwa 1.600 Zwangsarbeiter. Zum Vergleich: Bei den insgesamt 173 Luftangriffen der Alliierten kamen in Bremen an die 4.000 Menschen um. Beim Bau des Bunkers verloren „nur“ 16 Griechen ihr Leben, ihre Zähigkeit war unter den Gefangenen legendär. Im täglichen Überlebenskampf entstanden durch Freundschaften und Beziehungen kleine Gruppen. Geistige Aktivitäten halfen den Gefangenen, ihren Lebenswillen zu bewahren.

Am 27. März 1945 sprengten britische Bomber einen Krater von acht Metern Durchmesser in die Decke des U-Boot-Bunkers, am 30. März zerstörten US-Bomben die oberirdische Infrastruktur. Die Arbeiten am Bauwerk wurden eingestellt und obwohl die Trümmer bald weggeräumt waren, wurde der Bunker Valentin schon eine Woche nach den Luftschlägen ganz aufgegeben. Dort wurde nie ein U-Boot gebaut.

Die Evakuierung des Zwangsarbeiterlagers Bremen-Farge Richtung Lübeck begann am 10. April 1945. Spyros Pasaloglou überlebte den achtmonatigen Aufenthalt in diesem Arbeitslager dank seiner Konstitution und seines Überlebenswillens.

Nur wenige Wochen später überstand er am 3. Mai 1945 äußerlich unversehrt auch die Bombardierung des Gefangenenschiffs „Cap Arcona“ in der Lübecker Bucht. Dieses Ereignis ist ein wenig bekanntes Kapitel der grausamen Tage knapp vor der Kapitulation Hitler-Deutschlands.

Nach dem 15-monatigen Alptraum in Deutschland kehrte Spyros Pasaloglou im August 1945 nach Griechenland zurück. 2014 starb er hoch betagt in Athen.

Zwangsarbeiter montieren Spannbetonträger für Bunker
Bunker Valentin, Montage der Spannbetonträger, © Landeszentrale für politische Bildung/Staatsarchiv Bremen

Der Bunker Valentin, Nachkriegsnutzung und Gegenwart

Nach Kriegsende diente der Bunker den Alliierten als Zielobjekt für Bombentests. Nachdem Abrisspläne gescheitert waren, wurde er zum heimlichen-unheimlichen Abenteuerspielplatz der Kinder aus der Umgebung. Seit den 1960er-Jahren nutzte die Bundesmarine bis Ende 2010 Teile des Bunkers als Materialdepot. Die Bundeswehr übernahm Ende der 1950er-Jahre das ehemalige Lagergelände als Übungsplatz.

Von den Tanklagern, dem U-Boot-Bunker und den Zwangsarbeiterlagern ist heute nur noch wenig erhalten. Seit 2015 führt am „Denkort Bunker Valentin“ ein 1,5 km langer Informationsweg mit 21 Stationen vom Informationszentrum über das Gelände und durch den Bunker.

Für mehr Informationen: www.denkort-bunker-valentin.de

Text: A. Tsingas. Übersetzung der Auszüge: Michaela Prinzinger. Fotos: Ivar Schute, Landeszentrale für politische Bildung/Staatsarchiv Bremen

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