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Wo und wie Orient und Okzident sich begegnen, hat Joachim Sartorius immer wieder erlebt und festgehalten. Nachlesen lässt sich das auch in seinem neuesten Lyrikband „Für nichts und wieder alles“, aus dem wir hier – auf Griechisch in der Übertragung von Spyros Moskovou – drei Gedichte veröffentlichen.
Joachim Sartorius, geboren 1946 in Fürth, wuchs in Tunis auf und lebt heute in Berlin. Als Diplomat des Auswärtigen Amts lebte er von 1973 bis 1986 in New York, Istanbul und Nicosia. In dieser Zeit entwickelte er eine besondere Affinität zum kulturellen Grenzraum zwischen West und Ost. So reiste er in den 1980er Jahren nach Alexandria auf den Spuren von Konstantinos Kavafis und gab der dabei entstandenen Textsammlung den Titel Alexandria, die später auch auf Griechisch erschien.
Sartorius´ Werk umfasst mehrere Gedichtbände sowie Übersetzungen amerikanischer Lyrik. Selbst ist er in vierzehn Sprachen übersetzt. Er ist Herausgeber der Werkausgaben von Malcolm Lowry und William Carlos Williams sowie der Anthologien Atlas der neuen Poesie (1995), Minima Poetica (1999), Alexandria Fata Morgana (2001) und Niemals eine Atempause. Handbuch der politischen Poesie im 20. Jahrhundert (2014). Er ist Mitglied des PEN-Clubs und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Sartorius´ Werk ist zweifellos von der Begegnung mit Kavafis beeinflusst. Seine Sprache stochert gleichsam in den Resten des Vergangenen und legt dort Unzerstörbares frei. Dies zeigt sich auch in den drei Gedichten aus der Sammlung Für nichts und wieder alles, die Spyros Moskovou für diablog.eu übertragen hat. Im Gedicht Der Katalog von Alexandria sind die kursiven Wendungen dem Nouveau Dictionnaire des Passagers François-Allemand entnommen. Erschienen ist dieses Wörterbuch 1775 in Leipzig; ein Exemplar war für kurze Zeit im Besitz des ungarischen Schriftstellers Péter Nádas.
DER KATALOG VON ALEXANDRIA
für Péter Nádas
Schriftrollen gibt es hier en masse
stille Kopierarbeit vermehrt sie noch
jeder Herrscher befiehlt einen Anbau
Meisterhaft der Katalog der Bestände
vorbildlich das System der Verweise
Ordnung im Wirrwarr der Überlieferungen
In einer Halle
die Werke der Kartographen
bald werden die letzten Löwen getilgt sein
Am Ende der Großen Kolonnade Sand ausgewählter Sand zur
Diktatur der Zeit
In diesem Raum wird knapp diskutiert
Daneben der Saal der Nekrologe
Wer keinen Mund hat kann nicht schweigen
Wiedererinnerungen Streugut für Enkel
Vom vielen Aufrollen fettig sind
die Papyri über Tyrannen und Feldzüge
dicht gefolgt von Werken über die Liebeskunst
und Berichten der großen Reisenden
Die Verschlüsse dieser Rollen sind brüchig
zu oft schon wurden sie konsultiert
Doch den größten Zuspruch hat ein leerer Raum
nur ein paar Liegen und Öllampen
Alles andere kosmische Finsternis
Hier werden die Schatten aufbewahrt
in all ihren Formen schmal lang dicht
auch Halbschatten auch leerer Schein
auch schattichte Seelen der Verstorbenen
Nachbilder auch vom Schatten
dem unzertrennlichen Gefährt des Traums
Der Katalog listet dieses Gebiet nicht auf
Der Kurator hier ist ein Künstler
Spezialist für die Lichthaut ums dunkle Herz
Seine Mimik ist kontrolliert
Seine Rede genau und ziseliert
Sie macht Welttatsachen am Dunkel fest
Aus diesem Schwarz einer Ritz
kriecht das Licht herein
wie die Idee der Rettung
So viele kommen in diesen Raum
zur Erziehung des Auges
damit sie in den Schriften
die Fallen ausmachen können und die Türen
und schließlich verstehen
die leere Stelle des vollkommenen Katalogs
ALEXANDRIA ZUALLERLETZT
Wann ist Vergangenheit vollendet?
Wenn der Handel mit alten Fotografien
ein Ende nimmt? Wenn Gedichte aufhören,
Geschichte mit ihrem Eigensinn zu färben?
Wenn nichts mehr bewiesen werden kann?
Im großen Lärm von Markt und Jagd
haben die neuen Einwohner der Stadt vergessen,
dass es hier einen Dichter gab und einen Rotkreuzoffizier
auf dem Weg nach Indien, der Alexandria beschrieb
für jene, die ihre Geschichte ignorieren.
Wie ihr Gründer hat die Stadt
nie das eigene Gesicht gesehen. Nur den Sturz.
Die Spuren dieses Sturzes sicherten Gedichte,
die sich auf modrigen Feigen halten, wie Tau.
Wir müssen das Fleisch dieser Früchte kauen.
Wir müssen uns eine braune »Cleopatra« anzünden.
Nicht viel ist hier. Was war, hat das Meer begraben.
Die »Nadeln« der Königin stehen in London und New York.
Pizza Hut und KFC haben den Platz der Bars genommen, in
denen der Dichter verkehrte
und durch verlotterte Griechenländer marschierte.
Wir trösten uns mit Katalogen aus dem Regal.
Auf blanken Silbermünzen die Profile all jener,
welche kamen, eroberten und fielen.
Eitel, entzündbar, gewalttätig für die Stadt.
ABER ERINNERUNGEN GIBT ES. FÜR K.
Es war in der fünften Jahreszeit,
im dreizehnten Monat.
Das Krokodil in Binden gewickelt
im Museum in Alexandria.
Und das Licht so grell,
schwarze Schneeflocken auf der Tatze:
die Tilgspur der Zeit.
Gelassenheit, Gelassenheit.
Und so grell das Licht,
dass seine Augen am Gitter
des Holzbetts sich entlangfräsen
zum Nimmermeer, zum flachen Wasser
mit den breiten braunen Lurchen.
Spyros Moskovou, geboren 1960 in Athen, hat in seiner Heimatstadt und ab 1983 in Köln studiert, wo er seitdem lebt. Er hat Werke vieler deutscher Autoren ins Griechische übertragen (darunter Enzensberger, Grass, Handke, Sarah Kirsch, Joachim Sartorius). Seit 1989 arbeitet er für das griechische Programm der Deutschen Welle und ist seit 2000 dessen Leiter.
Gedichte: Joachim Sartorius. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags: Joachim Sartorius: Für nichts und wieder alles. Köln, Kiepenheuer&Witsch 2016. Fotos: Courtesy of Cavafy Archive/Onassis Foundation 2013 und J. Sartorius privat, im Hotel Le Metropol in Alexandria.
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