Der Staub der Zeit

Ausstellung zu Theo Angelopoulos

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In diesem Jahr wäre der legendäre Filmemacher Theo Angelopoulos 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass erinnert sich Giorgis Fotopoulos, sein langjähriger Regieassistent, an die Dreharbeiten zu seinem cineastischen Vermächtnis, dem Film “Der Staub der Zeit”. Illustriert wird der Text durch Fotografien von Nelly Tragousti, die – zusammen mit einem Dokumentarfilm von Nicos Ligouris – das Herzstück der Ausstellung bilden, die am 12. Februar in der Griechischen Kulturstiftung Berlin eröffnet wird. Am 23. Februar rundet Petros Markaris mit einem Vortrag zu Angelopoulos’ Trilogien die Hommage ab. Näheres zu den teilnehmenden Künstlern erfahren Sie in unserem “Who is who“.

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Theo Angelopoulos, ©Nelly Tragousti

Drei Jahre sind seit dem Tod des großen griechischen Filmemachers und Drehbuchautors Theodoros Angelopoulos vergangen. Sein tragischer Tod am Beginn der Dreharbeiten zum letzten Teil seiner TRILOGIE in der Nacht vom 24. zum 25. Januar 2012 hatte weltweit Bestürzung ausgelöst.

Die internationale Presse, die nur noch selten und allenfalls im Rahmen von Festivalreportagen über ihn berichtet hatte, widmete ihm jetzt ausführliche Würdigungen seines Werdens und Wirkens. Theo Angelopoulos hatte, so schien es, am Ende seines Lebens zugleich den Gipfel seines Erfolges erreicht.

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Bruno Ganz, ©Nelly Tragousti

Was war es, das so ungewöhnlich viele Zeitungen und Zeitschriften Nachrufe veröffentlichen ließ? Gemeinsam schien allen Widmungen das Bewusstsein zu sein, dass mit Theo Angelopoulos einer der letzten großen Autorenfilmer des autonomen, neorealistischen und politisch engagierten Kinos von uns gegangen war.

Gewiss sind die Arbeits- und Gestaltungsweisen der Cineasten seiner Generation heute inzwischen Allgemeingut des Filmemachens und der Filmgeschichte: mit kleinen Teams und geringem Budget in Alltagsereignissen Außenseitergeschichten zu entdecken und in ihrer Allgemeingültigkeit zu erzählen.

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©Nelly Tragousti

Doch die Trauer um den Künstler Theo Angelopoulos hat für viele, die ihn kannten oder mit ihm zusammengearbeitet haben, einen tieferen Grund, der auch in manchen Nachrufen noch durchschien.

Theo Angelopoulos‘ Autorenkino unterschied sich von anderen, die den Autorenfilm mitbegründet hatten, zunächst dadurch, dass seine Produktionen früh schon archaisch-epische Inhalte und episch-gigantischen Umfang hatten. Seine gegenwartsbezogenen Geschichten waren bewusst verwurzelt in antiker Mythologie. Seine Geldgeber waren global agierende Koproduzenten. Viele seiner Schauspieler waren internationale Stars.

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Theo Angelopoulos und Bruno Ganz, ©Nelly Tragousti

Seine Drehorte erstreckten sich in seinem letzten Werk DER STAUB DER ZEIT über den gesamten Globus. Und seine Teams wuchsen dementsprechend unüberschaubar an. Und dennoch – und das war das Entscheidende – blieb er bei seiner Arbeit, wie in seinen Anfängen, offen und einfach, ließ sich nicht von dieser potenziellen Gigantomanie kompromittieren und schuf unbeirrbar seinen eigenen Kinokosmos als Abbild des Gestern und Heute und als Ausblick auf ein Morgen. Jederzeit hätte er wieder mit minimalstem Budget und unbekannten Schauspielern gedreht. Bei seiner letzten Produktion DAS ANDERE MEER, die sein Tod unterbrach, war dies der Fall.

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Willem Dafoe und Giorgis Fotopoulos, ©Nelly Tragousti

Nur so, in dieser Verbindung aus Großem und Kleinstem, konnte er seine Inhalte – Griechenlands Geschichte, Gegenwart und Gesellschaft – stets vertiefen. Nur so konnte er seine Sprache erweitern zu den berühmten Plansequenzen und den darin enthaltenen Pausen, die in einem Shot von einer Detail- bis zu einer Panoramaeinstellung oder umgekehrt von einer Panorama- zu einer Detaileinstellung durchgedrehte, ungeschnittene Sequenzen oder Szenen zeigen.

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©Nelly Tragousti

Raum und Zeit sind in ihnen eins, sodass das eine fließend zum anderen sich wandeln kann: Gegenwart zu Geschichte, Außen zu Innen, Realität zu Fiktion und umgekehrt, damit – sinnbildlich – alles eingeschlossen und nichts und niemand ausgeschlossen ist. Und nur so war es möglich, dass er eine Gemeinschaft von Mitarbeitern  um sich scharen konnte, die vom künstlerischen Wert seines Werkes überzeugt war und ihn von seiner ersten bis zu seiner letzten Produktion unterstützten.

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Theo Angelopoulos, ©Nelly Tragousti

Nicos Ligouris, dessen Dokumentation zu den Dreharbeiten von DER STAUB DER ZEIT auf der Hommage vorgestellt wird, kennt ihn seit ihrer gemeinsamen Zeit als Filmkritiker in den späten 60iger Jahren. Nelly Tragousti, deren Porträtfotos der künstlerischen Mitarbeiter des Filmes zu sehen sind, war in den frühen 80iger Jahren seine Sekretärin.

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Michel Piccoli, ©Nelly Tragousti

Selbstverständlich gab es zwischen ihm und seinen engsten Mitarbeitern auch Verwerfungen, aber diese spiegelten letztlich den Widerspruch zwischen Wille, Entwurf und Wirklichkeit wider, der die Spannung eines jeden Kunstwerkes ausmacht. Zumal es bei Gesprächen beinahe immer zu einer versöhnlichen Lösung kam, bei denen Theo Angelopoulos dem anderen auf Augenhöhe als partnerschaftlicher und kritikfähiger Zuhörer begegnete.

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Irène Jacob, ©Nelly Tragousti

Ich glaube, über alle anderen künstlerischen Verdienste hinaus, macht  vor allem dies den einmaligen Wert seines Werkes aus: Sein Kunstschaffen war immer auch der Versuch einer Lebenskunst. Über seine Arbeit sagte er einmal: Ich drehe, wie ich atme. Es war aber auch umgekehrt: Er atmete, wie er drehte.

Spätestens seit seinem Filmstudium ging es ihm ums Filmeschreiben und Filmemachen. War es Fügung, dass im Moment seines Sterbens sein altgedientes Filmteam um ihn versammelt war? Die Nachricht von seinem Unfall verbreitete sich so rasch, dass sich innerhalb kürzester Zeit immer mehr Freunde und Weggefährten in dem Athener Krankenhaus versammelten, wo die Ärzte um sein Leben kämpften.

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Tiziana Pfiffner, Michel Piccoli, Theo Angelopoulos, ©Nelly Tragousti

Bei all der Trauer um Theo war sein Begräbnis auch ein Fest der Erinnerung an die gemeinsame Arbeit und die gemeinsamen Dreharbeiten. In seinen Filmen lebt sein Atem fort.

Fotos: Nelly Tragousti

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1 Gedanke zu „Der Staub der Zeit“

  1. Danke für die Hommage an Theo Angelopoulos. Seine Filme leben weiter und sind bleibende Kunstwerke. Alle sind sie auch auf DVD in Originalversion mit deutschen Untertiteln greifbar, zu den Filmen mit Gesprächen mit Theo Angelopoulos und bei DER SCHWEBENDE SCHRITT DES STORCHS mit zwei Gesprächen mit Petros Markaris. Eine schöne Ergänzung. Bestellbar unter http://www.trigon-film.org

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