“Offene Grenzen” – Besuch im Hot Spot Filippiada

Bericht von Torsten Haselbauer

Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Ελληνικά (Griechisch)

Torsten Haselbauer besuchte für diablog.eu den Hot Spot in Filippiada, in der Nähe von Arta im nordwestgriechischen Epirus. Es ist eines der vielen Lager, in denen Flüchtlinge Aufnahme finden, in der Hoffnung auf ein besseres Schicksal im reichen Europa. Die Illustration im Teaser stammt von Claudia Schaeffler.

Von der Kurve am Ortsausgang von Filippiada sind es noch knapp drei Kilometer bis zum Hot Spot. Die Straße schlängelt sich zunächst ein wenig bergab, bevor sie dann den Berg hoch in Richtung Ioannina nimmt. Am Straßenrand stehen in der Gegenrichtung Frauen mit kleinen Kindern an der Hand, die mutig den Daumen hochrecken.

Sie trampen in Richtung der 4000-Einwohner-Stadt Filippiada in der Präfektur Epirus. Die Frauen an der Straße sind teils verschleiert, teils nicht. Und wenn man sie so am Straßenrand sieht, fragt man sich, ob wohl ein Autofahrer anhalten wird. Auf einer kleinen Anhöhe liegt rechts der Hot Spot hinter einem Zaun. Links flattert ein Transparent im Baum: „Open Borders“ („Offene Grenzen“) steht darauf.

Hotspot_Filippiada, Flüchtlingszelte
Hot Spot Filippiada, Juli 2016, ©Torsten Haselbauer

Zwei Soldaten winken mich und meine Begleiterin lässig durch, als wir ihnen sagten, wir seien angemeldet. Bis vor zwei Jahren noch wurde dieses Gelände von der griechischen Armee genutzt. Seit März sitzen hier in gut 100 Zelten rund 500 Menschen fest. Es sind Menschen, die in Griechenland gestrandet sind. Sie alle eint die Hoffnung, in Europa Schutz und Asyl zu finden. Grob geschätzt ist dieser Hot Spot drei Fußballfelder groß.

„Wir hatten nur eine Woche Zeit, auf dieser Fläche eine Flüchtlingsunterkunft zu bauen. Wir wussten eigentlich gar nicht, wie das geht“, sagt Jorgos Theocharopoulos, der stellvertretende Chef dieser Asylzeltstadt in Epirus. Im Hauptberuf ist der 45-jährige großgewachsene Mann ein ranghoher Offizier der griechischen Luftwaffe. Seit März ist er für die Organisation des Hot Spots in Filippiada mit verantwortlich. Für diese Aufgabe wurde er bei vollen Bezügen freigestellt. Wie lange das dauern soll, weiß er selber nicht.

An den ziemlich aufregenden März dieses Jahres erinnert sich der Soldat ziemlich genau. „Am 10. März bekamen wir den Auftrag, dieses Lager aufzubauen. Am 18. März stiegen die ersten Flüchtlinge aus dem Reisebus und standen vor dem Tor“, erläutert Theocharopoulos. Er wird mit mir jetzt eine Stunde lang über das Gelände gehen, es mir zeigen und geduldig erklären. Er wirkt aufrichtig, gelassen und bemerkenswert souverän.

Immer wieder werden wir auf unserem Weg über das staubige Gelände von Menschen angesprochen, die hier untergekommen sind. Fast jeder hat irgendein Problem und Theocharopoulos soll sie alle lösen. Er nimmt sich die Zeit, legt eine Pause ein und hört zu. Die einen benötigen eine neue Matratze, andere einen Kinderwagen. Viele klagen über die Hitze in ihren weißen Zelten. Auf allen ist das große, hellblaue Logo „UNHCR“ des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen aufgedruckt.

Kinder im Flüchtlingslager
Hot Spot Filippiada, Juli 2016, ©Torsten Haselbauer

Eine ganze Menge Kinder ist in diesem Hot Spot zu sehen, das fällt sofort auf. „Viele sind alleine hier angekommen, ohne Eltern oder Verwandte“, sagt Theocharopoulos. Die Kinder spielen im Schatten – so, wie Kinder überall auf der Welt: Sie lassen einen Flummi auf und abschnellen, oder sie haben auf einer kleinen Mauer einen Kaufmannsladen aufgebaut. Kleine Steine symbolisieren die Produkte, die man in einem Laden kaufen kann (wenn man denn Geld hat).

Hinter dem arrangierten Kaufmannsladen steht ein ausrangierter Armeelaster. Leider können die Kinder kein Englisch oder Griechisch sprechen. Und vielleicht, denke ich, ist es heute sogar besser so. Bilder und Berichte aus Syrien, Afghanistan, Idomeni, aus Lesbos und anderswo kommen einem sofort in den Sinn. Jetzt wird Griechenland zum „Land der Lager“ – dieses Image wird Hellas ausgerechnet von Teilen der deutschen Presse verpasst.

In Griechenland gab es bisher keinen einzigen Angriff auf einen Hot Spot oder ein „Flüchtlingsheim“. Die Zustände in den Unterkünften seien bemerkenswert gut. „Jedenfalls überall dort, wo wir waren“, sagt die Ärztin Stefanie Spindola. Sie kommt aus Mexiko und arbeitet für die Organisation „Ärzte der Welt“ (Doctors of the World). Mit einem kleinen, internationalen Ärzteteam reist sie derzeit in Griechenland von Hot Spot zu Hot Spot. Auf einem Fragebogen vermerkt sie akribisch, wie die medizinische Versorgung den griechischen Flüchtlingslagern abläuft.

„Hier ist es ziemlich okay“, erkennt sie fachmännisch, weil mit geschultem Auge. Zwischen 500 und 700 Syrer und Afghanen leben in dem Hot Spot vor den Toren der Kleinstadt Filippiada. In einem klimatisierten Container gibt es eine kleine Krankenstation. Der Arzt hat heute Sprechstunde, und draußen warten die Menschen geduldig in einer Schlange. In einem anderen Container können junge Mütter in aller Ruhe auf einem Sofa ihre Babys stillen. Zwei Zelte mit je fünf bis acht Bewohnern teilen sich, nach Geschlechtern getrennt, zwei Duschen. In einem Gemeinschaftszelt flimmert ein Fernseher. Es läuft das griechische Programm. Eine Handy-Aufladestation darf selbstverständlich auch nicht fehlen.

Zwei Hilfskräfte
Hot Spot Filippiada, Juli 2016, ©Torsten Haselbauer

Die zentrale Essensausgabe wird von zahlreichen Hotels aus der Kreisstadt Arta, der Großstadt Ioannina und dem Umland beliefert. „Wir achten auf eine vitaminreiche Ernährung“, stellt Theocharopoulos fest. Das Abwasser der Toiletten wird regelmäßig entsorgt. Der Grad der gesellschaftlichen Selbstorganisation in dem Hot Spot scheint hoch. Es wurde bereits eine Ehe geschlossen, und selbstverständlich gab es ein großes Fest mit Musik und Tanz. Ein Frisör hat sich einen Arbeitsplatz eingerichtet und schneidet seinen Kunden die Haare. Ein kleiner Fußballplatz lädt zum Bolzen ein. Es werden auch immer wieder Kleider und Medikamente gespendet – von Griechen, die selber seit sieben Jahren unter einer schweren ökonomischen Krise ächzen.

Sicher, die aus Deutschland bekannte, mitunter grelle Euphorie über die Flüchtlinge fehlt in Hellas komplett. Man hilft sich und anderen merklich unaufgeregter und das nicht vor laufenden Fernsehkameras. „Ich bin echt beeindruckt, was ich gerade in Italien und Griechenland an selbstverständlicher Hilfe für Flüchtlinge erlebt habe. Einfach so. Vielleicht deshalb, weil diese Länder ja selber eine lange Auswanderungsgeschichte, ja auch eine Flüchtlingsgeschichte hinter sich haben“, mutmaßt die mexikanische Ärztin Stefanie Spindola. Und vielleicht wieder vor sich haben, denkt man insgeheim.

Zwanzig Euro monatlich (!) erhält eine Familie im Hot Spot in Filippiada in Form einer Lebensmittelkarte vom griechischen Staat. Deshalb trampen die Menschen mit ihren Kindern in die Stadt, denn das Busticket kostet 1,50 Euro für eine einfache Fahrt. Das ist unerschwinglich für sie. Auch das sollte man wissen, wenn man gerade hin und her überlegt, ob man auf die die Bremse treten und rechts ranfahren soll.

Text: Torsten Haselbauer. Fotos: Torsten Haselbauer. Illustration: Claudia Schaeffler.

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1 Gedanke zu „“Offene Grenzen” – Besuch im Hot Spot Filippiada“

  1. Moin, danke für den Bericht von Ort. Scheint ja im “Hot Spot Filippiada” nicht so schlimm wie in den anderen Lagern zuzugehen.

    Die Unterbgringung/Kasernierung von Menschen in Lagern (egal wie die Bezeichnung dafür sind, “Hot Spot”, Flüchtlingslager, Zentrale Aufnahmestelle usw.) ist abzulehnen.

    Die Menschen wollen weder in GR bleiben noch in Lagern eingesperrt werden, egal ob auf Kos, Samos, Lesbos, und auf dem Festland.

    Angeblich sollen “Hot Spots” dazu dienen, die Umverteilung von Schutzsuchenden auf andere EU-Staaten zu ermöglichen. Tatsächlich geht es primär darum, Schutzsuchende an Europas Außengrenzen festzusetzen und Abschiebungen zu forcieren.

    Die Fluchtursachen sind doch das Problem, da muß man ansetzten und sich weiter für Bewegungsfreiheit und offene Grenzen einsetzten.

    Die unabhängige Menschenrechtsorganisation PRO ASYL beschreibt die Zustände so: „Das durch Stacheldraht umzäunte Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos wurde zum europäischen „Hotspot“ ernannt. Die Bedingungen, die Flüchtlinge dort vorfinden, sind menschenverachtend und entwürdigend. Hunderte warten etliche Stunden bis tagelang unter katastrophalen Bedingungen im Lager auf ihre Dokumente.“

    “Der bestehenden „Hot Spots“ Moria ist ein Ort der Schande. Die Flüchtlinge werden dort geschlagen, beschimpft und mit Tränengas attackiert. Der Hot Spot Moria ist von Stacheldraht umgeben, Polizeibeamte stehen Wache. Angeblich sollen Hot Spots dazu dienen, die Umverteilung von Schutzsuchenden auf andere EU-Staaten zu ermöglichen. Tatsächlich geht es primär darum, Schutzsuchende an Europas Außengrenzen festzusetzen und Abschiebungen zu forcieren.“
    (Quelle Pro Asyl)

    Staatliche Gesundheitsagentur fordert Schließung aller Lager
    https://griechenlandsoli.com/2016/07/26/staatliche-gesundheitsagentur-fordert-schliessung-aller-lager/

    Greece: address inhumane conditions for refugees now
    https://www.amnesty.org/en/get-involved/take-action/greece-address-inhumane-conditions-for-refugees/

    vg, kv

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